Haldimann H9: Wir müssen leider draußen bleiben.

Lassen Sie mich Ihnen eine Frage stellen: Würden Sie für ein Kunstwerk knapp 120.000 Euro ausgeben? Sollten Sie diese Frage mit „ja“ beantwortet haben, erlauben Sie mir eine zweite Frage: „Würden Sie für eine künstlerisch und handwerklich absolut hervorragend gestaltete Uhr 120.000 Euro ausgeben?“ Die Leser, die hier mit „ja“ geantwortet haben: Bitte bleiben Sie noch. Letzte Frage an Sie: „Würden Sie das auch tun, wenn die knapp 120.000 Euro teuere Uhr — keine Uhrzeit anzeigen würde?“

Genau das tut (oder tut nicht) nämlich das Modell H9 des Schweizer Uhrenmachers Beat Haldimann. Es zeigt keine Uhrzeit an. Das bombierte, tiefschwarze Saphirglas ist absolut blickdicht.

Verstehen Sie mich nicht falsch, die H9 ist nicht etwa eine Mogelpackung. Im Inneren des Platingehäuses tut das Kaliber H.Zen-1 seinen Dienst. Es ist Qualität, was da in der H9 seinen Dienst verrichtet.

Auf Haldimanns Homepage steht im Beschreibungstext der H9 folgende Frage: „Wie viel Uhr braucht es, damit wir von einer Uhr sprechen?“

In der Tat, eine gewichtige Frage. Eine Uhr muss meinetwegen nicht immer rund sein, muss nicht immer Zeiger haben, muss nicht immer edle Automatikkaliber vorweisen. Das alles ist extrem verhandelbar, und es gibt nun wirklich hunderte unterschiedlicher Methoden, die Zeit anzuzeigen. Selbst bei den extrem kompliziert ablesbaren Quarzweckern von Tokyoflash geht das ja irgendwie.

Aber der kleinste gemeinsame Nenner bei einer Uhr ist für mich: Sie muss die Uhrzeit anzeigen können. Doch bei der H9 liegt die Sache anders. Da gibt’s keine Anzeige. Gar keine. Immern klickt und surrt es, aber das geht einfach so vor sich hin, dreht sich um sich selbst. Wir müssen leider draußen bleiben.

Lassen wir noch einmal die Homepage zu Wort kommen:

„Der eintönige, minutengleiche Ablauf der Zeit, die lineare Zeit, hat unser Dasein in Beschlag genommen.“

„Natürlich, Haldimann!“, rufe ich in die Schweiz, „deswegen lege ich mir doch eine Uhr zu! Wenn die lineare Zeit unser Dasein in Beschlag genommen hat, dann hilft mir dein…Dingsbums auch nicht weiter!“

Wohlweislich nennt Haldimann seine „Uhr“ nicht Uhr, sondern „Skulptur fürs Handgelenk“. Doof nur, dass ausgerechnet eine Skulptur den Platz wegnimmt, den normalerweise meine Armbanduhr benötigen würde. Vielleicht sollte ich mir eine kaufen und dann grundsätzlich die Uhrzeit am Handy ablesen. Brillante Lösung. Ich sehe es förmlich vor mir: Ich gehe morgens aus dem Haus. Geschäftstermin um 9, wie spät ist es? Ein Blick auf die Uhr… oha, stimmt ja, da ist ja die Skulptur, die so aussieht als sei sie eine Uhr. Na gut. Umständlich das Handy aus der Jackentasche rausgewurstelt, geklickt und nachgesehen. Na also, geht doch. Beschwingt in den Morgen mit Kunst am Handgelenk. Das kann ruhig umständlich sein. Die Kunst macht ja so vieles wett.

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Auch, wenn in manchen Rezensionen die H9 als „ganz großer Wurf “ bezeichnet wird: Ich finde sie albern. Ein klein wenig kommt es mir so vor, als sei dieses teure Ding ein groß angelegter Witz. Auf Kosten des Käufers.

  • Werk: Mechanisch mit Handaufzug, Kaliber H.Zen-1, fliegendes Manufaktur-Tourbillon im Zentrum, drei Federhäuser, 18.000 Halbschw./h, handgraviert
  • Funktionen Stunde, Minuten
  • Gehäuse Platin 950, 39 oder 42 mm
  • Saphirglas bombiert, blickdicht
  • Gehäuseboden Saphir
  • Wasserdicht bis 30 m / 3 ATM
  • Zifferblatt Schwarz
  • Fliegendes Tourbillon im Zentrum
  • Armband Alligator schwarz, handgenäht, mit Falt- oder Dornschliesse in Platin 950